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Klimawandel stellt Reisemuster auf den Kopf

Die European Travel Commission ETC geht davon aus, dass die anhaltenden Hitzewellen in Südeuropa die Reiseströme stark beeinflussen werden. Bei Temperaturen oft jenseits der 40 Grad Celsius verlieren die klassischen „Badewannen-Ziele“ in den Sommermonaten an Attraktivität. Alternativen sind gefragt, die Reisebranche ist gefordert. tip-online macht sich Gedanken über mögliche Zukunftsszenarien.

Als hätte es noch einer Bestätigung bedurft! Die verheerenden Brände auf der Insel Rhodos zeigen einmal mehr auf, was längst unleugbare Tatsache ist. Der Klimawandel zwingt uns zum Umdenken. In allen Bereichen des täglichen Lebens – und auch in der Reisebranche. Selbst wenn gar nicht so wenige Touristen auf Rhodos sich damit zufriedengeben, in andere Quartiere abseits der Gefahrenzone umquartiert zu werden, ist nachvollziehbar, dass dennoch viele einfach nur weg bzw. gar nicht erst hinwollen. Erst kürzlich haben Veranstalter keine neuen Gäste auf die Insel gebracht. Passagiere, die in dieser Zeit ihren Urlaub auf der Insel beginnen sollten, wurden kostenfreie Stornos oder Alternativaufenthalte angeboten.

Lage rund ums Mittelmeer

Im Juli wurde in Griechenland nicht nur Rhodos, sondern auch Korfu sowie einige Regionen am Peloponnes von Großbränden, die durch die Trockenheit hervorgerufen wurden, heimgesucht. Bei vorerst anhaltend hohen Temperaturen rund um die 40 Grad oder darüber bleibt die Brandgefahr weiterhin groß. Auf Sizilien waren vor allem der Norden sowie Palermo betroffen. Der Flughafen der Stadt musste vorübergehend gesperrt werden. In Algerien stieg die Zahl der Menschen, die in Feuern umgekommen waren, auf nahe 40. Besonders betroffen war die Region Beni Ksila östlich der Hauptstadt Algier. Tunesien, der Süden Frankreichs wie auch Gebiete in der Urlaubsregion rund um Antalya mussten ebenfalls mit riesigen Bränden fertig werden. Parallel dazu richteten Unwetter mit Hagel, Stürmen und sintflutartigem Regen im Norden Italiens schwere Schäden an.

Meiden Gäste den hitzegeplagten Süden?

Laut ETC sei die Zahl der Menschen, die von Juni bis November nach Südeuropa reisen möchten, im Vergleich zum Vorjahr bereits um 10% gesunken. „Wir gehen davon aus, dass unvorhersehbare Wetterbedingungen künftig einen größeren Einfluss auf die Entscheidungen von Reisenden in Europa haben werden“, sagt ETC-Leiter Miguel Sanz. Ein Bericht des Handelsverbands zeigt zudem, dass 7,6% der Reisenden extreme Wetterbedingungen als Hauptproblem bei Reisen zwischen Juni und November ansehen. Aktuell prognostizieren Meteorologen neue Höchstwerte, die den europäischen Rekord von 48,8 Grad, der 2021 auf Sizilien gemessen wurde, übertreffen könnten.

Welches Risiko trägt der Veranstalter?

Müssen, wie im Falle der Brände in Rhodos, Passagiere umgebucht oder zurückgeholt werden, haftet der Veranstalter. Laut Pauschalreiseverordnung muss er für Ersatz sorgen. Eine Versicherung dagegen gibt es nicht, da Naturkatastrophen unter „höhere Gewalt“ fallen. Häufen sich also Wetterextreme mit gravierenden Auswirkungen, steigert das das Veranstalterrisiko enorm. Hingegen erhalten Gäste, die ihr Hab und Gut in einem Feuer wie jetzt auf Rhodos verloren, bei entsprechender Reiseversicherung Ersatz.

Was können alternative Ziele sein?

Die ETC registriert sprunghaftes Interesse an Ländern wie Tschechien, Dänemark, Irland und Bulgarien, allerdings ohne näher auf die Quellmärkte einzugehen. Naheliegend für den deutschsprachigen Raum sind auch Ziele im Norden Deutschlands in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sowie in Polen, Skandinavien und dem Baltikum. Generell also Destinationen am Atlantik, an Nord- und Ostsee, die die Sehnsucht nach Meer ebenso stillen wie der Süden Europas, allerdings bei angenehmeren Temperaturen.

Ist Österreich eine Alternative?

Natürlich könnte auch Österreich zu den Gewinnern zählen. Auch wenn jetzt der Nachholbedarf viele Reisende ins Ausland zieht, bleibt die Alternative von Urlaub am See oder in den Bergen weiterhin attraktiv – zumal, wenn Wien wochenlang von Temperaturen deutlich jenseits der 30 Grad-Marke heimgesucht wird. Der Nachteil bei dieser Art von Urlaub für Reisebüros und Veranstalter ist, dass meistens direkt gebucht wird. Selbst wenn die Unterkunft über Vermittler gefunden wird, liegt die Marge wegen der Eigenanreise deutlich unter der einer organisierten Flugreise ins Ausland.

Wie ist die Infrastruktur vor Ort?

In vielen Ländern rund ums Mittelmeer ist man seit Jahrzehnten auf große Reiseströme eingerichtet, von kapazitätsstarken Flughäfen über Bettenburgen, Boutique Hotels und Apartments bis hin zu Bars, Cafés, Restaurants und Shops. Kurz, alles ist auf mehr oder weniger große Besucherzahlen ausgelegt. Anders bei den potentiellen Alternativ-Destinationen. Die sind zwar auch keine Neulinge im Bereich Tourismus, allerdings ist die Infrastruktur stärker auf Individualreisende fokussiert. Die bei Familien nach wie vor sehr beliebten All Inclusive-Angebote mit Kinderbetreuung und umfassendem Sportangebot zählen an Nord- und Ostsee – zumindest vorerst – eher zur Ausnahme. Charterflüge in nordische Länder gibt es zwar schon seit Jahren, allerdings vom Aufkommen her nicht mit den Kapazitäten in die Badedestinationen rund ums Mittelmeer vergleichbar.

Was heißt das für die traditionellen Feriengebiete Südeuropas?

Die Attraktivität dieser Länder bleibt weiterhin erhalten, allerdings könnte eine Verschiebung auf die Vor- und Nachsaison, wenn die Temperaturen weniger extrem sind, erfolgen. Bisher scheiterte die von fast allen Urlaubsländern angestrebte Ausweitung der Sommersaison an mangelnden Flug- bzw. Hotelkapazitäten. Airlines redeten sich auf nicht geöffnete Hotels aus, Hotels auf das fehlende Flugangebot. Das ewige Henne-Ei-Problem wäre mit ein bisschen gutem Willen sicher lösbar. Wie sich eine starke Nachfrage in Frühjahr und Herbst mit den bisher gängigen Ferienterminen vereinbaren ließe, ist allerdings noch offen.

Was heißt das für die Pauschalreiseveranstalter?

Kommt es tatsächlich zu einer derartigen Verschiebung der Reiseströme, müssten auch die großen Pauschalreiseveranstalter umdenken. Zwar ist von der vor zehn, 15 Jahren viel beschworenen „vertikalen Integration“ (Veranstalter, Hotel, Airline aus einer Hand) nicht mehr viel übrig, dennoch müssten enorme Investitionen in den Aufbau einer ähnlichen Hotellerie-Landschaft samt Unterhaltungsangebot in den neuen Urlaubsorten in kühleren Regionen getätigt werden. Gleiches würde auch für Verkehrsanbindungen per Flugzeug, Bahn oder Bus gelten. Denn mit dem Auto ein paar tausend Kilometer nach Nordeuropa zu fahren, um den Folgen des Klimawandels zu entgehen, kann auch nicht die Lösung sein. Schließlich entfallen EU-weit 72% des CO2-Ausstoßes auf den Straßenverkehr, vorwiegend auf PKW.


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Foto: tip

Autor/in:

Herausgeberin / Chefredakteurin

Elo Resch-Pilcik, Mitgründerin des Profi Reisen Verlags im Jahr 1992, kann sich selbst nach mehr als 30 Jahren Touristik - noch? - nicht auf eine einzelne Lieblingsdestination festlegen.





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