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Tourismus in Österreich: Chance oder Krise?
Die Nächtigungszahlen in Österreich haben sich heuer fast ausnahmslos dem Niveau von vor der Pandemie angenähert. Dennoch halten zahlreiche Herausforderungen den heimischen Tourismus auf Trab. Manche von ihnen könnten jedoch die Geschäftsmodelle nachhaltig verändern.
Für die Zeit von Mai bis Juli registriert die Statistik Austria 39,5 Mio. Nächtigungen in Österreich, was dem höchsten Wert seit 1980 (40 Mio.) entspreche, so eine Aussendung. In der ersten Hälfte der diesjährigen Sommersaison war Urlaub in Österreich so gefragt wie kaum jemals zuvor“, erklärt Tobias Thomas, Chef der Statistik Austria. In diesem Zeitraum lag die Zahl der Nächtigungen sogar um 1,7% über denen im Jahr 2019. Gegenüber dem Vorjahr (37,16 Mio.) betrug das Plus 6,3%. Mehr als zwei Drittel der Übernachtungen in der ersten Hälfte des Sommers ging auf ausländische Gäste zurück. Was bemerkenswert erscheint, da asiatische Reisende, vor allem aus China, erst langsam wieder nach Europa kommen.
„Spezieller Sommer“
Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler spricht von einem „sehr speziellen Sommer mit relativ vielen Herausforderungen, vor allem mit der Wettersituation“. Der viele und heftige Regen hat besonders Kärnten stark zugesetzt, das einzige Bundesland, das in der ersten Hälfte der Sommersaison ein leichtes Minus bei den Buchungen verzeichnen musste. Um dort die Saison noch zu retten, wurde die Spätsommerkampagne der Österreich Werbung vorgezogen.
Dennoch ist für das ganze Jahr Optimismus angesagt: Bis Jahresende rechnet Kraus-Winkler mit 145 bis 147 Mio. Nächtigungen, also knapp weniger als 2019, als der Wert 152 Mio. betrug. Auch Michael Duscher, Geschäftsführer Niederösterreich-Werbung, ist zuversichtlich: Von Jänner bis Juli wurden in Niederösterreich 4,15 Mio. Nächtigungen registriert, was einem Plus von 16,2% gegenüber dem Vorjahr, einem leichten Minus von 4,2% gegenüber 2019, entspricht. Bis Jahresende sollte der Rückstand aufgeholt sein.
Teuerung setzt allen zu
Die höchsten Zuwachsraten in diesem Sommer wurden bei gewerblichen Ferienwohnungen verzeichnet. Bei ausländischen Buchenden um 20%, bei inländischen im mittleren einstelligen Bereich. In der gehobenen Hotellerie ging die Zahl der heimischen Kunden zurück. „Das heißt, der Inländer spart ein bisschen“, folgert Kraus-Winkler. Zudem zog es potenzielle österreichische Gäste heuer wieder vermehrt ins Ausland. Ein weiterer Effekt der Teuerung ist, dass, wer kann, oft auf günstigere Termine in der Vor- und Nachsaison ausweicht. Das setzt allerdings voraus, dass Beherbergungsbetriebe, Attraktionen und Seilbahnen bereit sind, die weniger nachgefragten Monate hindurch geöffnet zu halten.
Beschäftigte machen Druck
Erfolgsverwöhnte Hoteliers, die ihre Kassen in der Wintersaison bereits gefüllt haben, haben in der Regel bisher wenig Grund gesehen, auch den Sommer zu bespielen. Thomas Köhle, Geschäftsführer Tourismusverband Paznaun-Ischgl, berichtet, dass von den 460 Beherbergungsbetrieben in Ischgl heuer im Sommer rund 200 geöffnet haben, von denen wiederum 60% den Betrieb bis in den Herbst aufrechterhalten wollen. Dass in etablierten Winterdestinationen für Hoteliers verstärkt auch der Sommer zum Thema wird, ist zum Teil auf den Arbeitskräftemangel zurückzuführen. Mitarbeitende drängen zunehmend darauf, zumindest zwei Saisonen, Winter und Sommer, beschäftigt zu werden.
Die Zukunftsfitten
Einige – unter zahlreichen anderen – gute Beispiele der Diversifizierung über das ganze Jahr sind Niederösterreich, das Burgenland oder auch St. Johann im Pongau. Das größte Bundesland Österreichs setzt schon seit Jahren auf die Kombination verschiedener Themen wie Kultur und Kulinarik sowie Outdoor-Aktivitäten von Radfahren über Wandern bis hin zu Wintervergnügungen. Eine ähnliche Strategie verfolgt auch das Burgenland, das zudem noch mit Thermen punkten kann.
Nicht Themen-bezogen sondern Zielgruppen-orientiert geht St. Johann im Pongau vor. Unter dem Markennamen „JO“ Salzburg liegt der Fokus das ganze Jahr über auf Familien. Die Investitionen in die touristische Weiterentwicklung haben sich bezahlt gemacht. Für den Zeitraum Jänner bis Juli wurde ein Plus bei den Nächtigungen von 8% gegenüber dem sehr erfolgreichen Jahr 2022 erzielt. Als „Gewinner der Saison“ bezeichnet Hannes Rieser, Geschäftsführer des Tourismusverbandes St. Johann in Salzburg, die bäuerlichen Betriebe. Sehr gut entwickelt habe sich zudem der Hotelsektor im 3-Sterne-Bereich. Die Monate Juni und Juli waren die besten seit Beginn der Aufzeichnungen. Auch der vergangene Winter hat Rekorde beschert: Allein im Dezember 2022 konnte JO 46.000 Nächtigungen erzielen. Ein Winter-Aktivprogramm, „JOKIWO“, Kinderwochen mit speziellen Events, im Winter wie im Sommer, Bergsommer und andere Aktivitäten für die ganze Familie, zeugen von einer gut balancierten Strategie.
Warme Winter
Die Tendenz, auf zwei Standbeine, also zwei Saisonen, zu setzen, gewinnt vor allem für Wintersportorte in niedrigeren Höhenlagen an Bedeutung. Mehr als die Hälfte (53%) von 2.234 analysierten europäischen Skigebieten wird bei einer globalen Erwärmung um zwei Grad Celsius ein „sehr hohes Risiko“ einer unzureichenden natürlichen Schneeversorgung haben. Bei vier Grad Celsius sind fast alle Skigebiete (98%) betroffen. Das geht aus einer Studie hervor, die u.a. von Hugues François vom französischen Institute for Agriculture, Food and Environment sowie Franz Prettenthaler von Joanneum Research in Graz in Kooperation mit der Universität Grenoble Alpes und dem Meteo France erstellt wurde. Selbst bei künstlicher Beschneiung sind bei einer Erwärmung von zwei Grad 27% der europäischen Skigebiete, bei vier Grad 71% von sehr hohem Schneemangel-Risiko betroffen. Die Erzeugung von Kunstschnee hat einen hohen Bedarf an Wasser und Strom und bringt zusätzliche CO2-Emissionen mit sich. Dennoch würden, so die Studie, Anreise und Beherbergung deutlich mehr Emissionen ausstoßen. Susanne Kraus-Winkler sieht die Studie als Bestätigung dafür, dass „Österreich bei zukunftsorientierten Lösungsansätzen bereits Vorreiter sein und Skifahren in Österreich auch in den kommenden Jahrzehnten möglich sein werde.“
Zeit umzudenken
Spätestens jetzt wäre es also Zeit umzudenken. Denn, wie auch Thomas Köhle betont, der Aufbau einer Infrastruktur für Mountainbike- oder Wandertrails dauert Jahre. Ist diese Hürde allerdings erst genommen, könnten viele der bisher klassischen Winterdestinationen zu Sommer-Coolspots werden. Vor allem für aktive Gäste, die im Juli und August die brütend heißen Temperaturen rund ums Mittelmeer meiden wollen. Ob kleine Bergdörfer in den Alpen künftig Massenanstürme wie manche „Badewannen-Ziele“ verkraften können, ist eine andere Geschichte. Und noch ein weiter Weg.
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Autor/in:
Elo Resch-Pilcik
Herausgeberin / Chefredakteurin
Elo Resch-Pilcik, Mitgründerin des Profi Reisen Verlags im Jahr 1992, kann sich selbst nach mehr als 30 Jahren Touristik - noch? - nicht auf eine einzelne Lieblingsdestination festlegen.
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