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Touristenströme: Fluch und Segen


Volle Strände - des einen Leid, des anderen Freud
Eintritt für den Stadtbesuch, Verbannung von Kreuzfahrtschiffen, Demos gegen Tourismus. Die lange Zeit erwünschten Steigerungen der Besucherzahlen stellen immer mehr Destinationen vor die Herausforderung, das tägliche Leben der Bevölkerung mit den Touristenströmen in reibungslosen Einklang zu bringen. Die Geister, die ich rief…
 

Bereits vor der Corona-Pandemie hatte Venedig angekündigt, für Tagesbesucher Eintritt verlangen zu wollen. Während der Lockdowns sehnte man die Gäste herbei, inzwischen drängen sich am Markusplatz und in den umliegenden Gassen TouristInnen Schulter an Schulter. Jetzt zieht Venedig die Notbremse und hat ein Experiment angekündigt: Mit 25. April zahlen Tagesgäste, die in der Zeit von 8:30 bis 16:00 Uhr in die Lagunenstadt wollen, fünf Euro Eintritt. Dafür muss ein QR-Code Online oder in Trafiken erworben werden, der stichprobenartig kontrolliert werden soll. Wer nur die kleineren Inseln Murano, Burano und Torcello besichtigen will, kann das weiterhin kostenfrei tun. Die Gebühr wird in der aktuellen Phase an insgesamt 29 Tagen im Jahr eingehoben. Vom 25. bis 30. April, vom 1. bis 5. Mai und an allen übrigen Wochenenden (samstags und sonntags) bis zum 13. und 14. Juli. Davon ausgenommen ist das Wochenende zum Tag der Republik (1. bis 2. Juni), einem weiteren Nationalfeiertag in Italien.

„Es handelt sich um ein Experiment, das erste weltweit“, erklärt der Bürgermeister von Venedig, Luigi Brugnaro. Ob das Modell tatsächlich vorwiegend die Tourismusströme lenken wird oder doch eher die Stadtkasse auffüllen wird, bleibt vorerst offen.

Amsterdam setzt auf Maßnahmenbündel

Gleich an mehreren Fronten setzt Amsterdam Maßnahmen gegen Overtourism. Um den festgelegten Maximalwert von 20 Millionen Übernachtungen pro Jahr nicht zu überschreiten, dürfen künftig im Stadtgebiet keine neuen Hotels mehr gebaut werden. Ausnahmen gibt es nur, wenn ein bestehendes Hotel geschlossen wird und die Zahl der verfügbaren Betten nicht steigt. Darüber hinaus hat die Stadtverwaltung angekündigt, die Zahl der Flusskreuzfahrtschiffe bis 2028 halbieren zu wollen. Für Hochsee-Kreuzfahrtschiffe soll ein neues Terminal außerhalb der Stadt entstehen. Ab 2028 dürfen maximal 1.150 Kreuzfahrtschiffe anlegen, 2023 waren es noch 2.125. Mittelfristig würde das rund 270.000 weniger TouristInnen pro Jahr in der Stadt bedeuten. Darüber hinaus wurde die Touristensteuer mit Anfang des Jahres von 7% auf 12,5% des Übernachtungspreises kräftig gesteigert und liegt damit auf dem höchsten Wert innerhalb Europas. Darüber hinaus wird die Vermietung von Ferienwohnungen auf 30 Nächte pro Jahr beschränkt.

Teneriffa: Wohnungsnot vs. Ferienwohnung

Wie komplex das Thema „Overtourism“ ist, zeigt sich am Beispiel der Kanarischen Inseln. Zehntausende demonstrierten zuletzt gegen den Tourismus. Hintergrund ist in erster Linie die angespannte Lage am Wohnungsmarkt. Durch die schnell wachsende Vermietung von Ferien-Wohnungen steigen die Mieten für die Einheimischen aufgrund mangelnder Verfügbarkeit von Wohnraum. Ähnliche Kundgebungen wurden zuletzt auch auf dem Festland abgehalten. In der Kritik stehen einerseits Ferienwohnungen, die nur wenige Wochen im Jahr genutzt werden, sowie die Vermietung über Airbnb, Booking.com und andere Portale. Das staatliche Turismo de Tenerife relativiert die Vorwürfe und weist darauf hin, dass die Bevölkerung auf den Kanarischen Inseln von 1,7 Mio. im Jahr 2003 auf 2,2 Mio. im Jahr 2023 angewachsen ist. 2023 verzeichnete Teneriffa 6,5 Mio. BesucherInnen gegenüber 5,9 Mio. im Jahr 2019. Das entspricht einem Zuwachs von 11,6% bzw. 600.000 Gästen. Gleichzeitig stiegen die Ausgaben pro Person von 1.114,03 EUR im Jahr 2019 um 21,7% - also deutlich über der Inflation – auf 1.355,46 EUR im Jahr 2023. Die Ausgaben pro Person pro Tag kletterten um 20,8% auf durchschnittlich 168,91 EUR. Dank Investitionen in die Unterkünfte und der Diversifizierung des Angebots sei es den Kanaren gelungen, zahlungskräftigere Gäste mit höherer Ausgabenbereitschaft anzuziehen, heißt es in einem Statement von Turismo de Tenerife. 2023 erzielten die Kanaren Einnahmen aus dem Tourismus in Höhe von 20 Mrd. EUR, ein Plus von 31,1% gegenüber 2019. Die Zahl der Besucher stieg im gleichen Zeitraum allerdings nur um 7,2%.

Wirtschaftsmotor Tourismus

Allein auf Teneriffa steuert der Tourismus 35,5% zum BNP und 40% aller Arbeitsplätze bei. Der Unmut der Bevölkerung sei der Wohnungsknappheit und der mangelnden Verkehrsinfrastruktur geschuldet. „Die Demonstrationen richten sich nicht gegen Touristen. Sie sind vorwiegend getrieben von Problemen, die seit Jahren aufgrund mangelhafter Planung bestehen“, erklärt Dimple Melwani, CEO von Turismo de Tenerife. Sie betont, dass der Tourismus die treibende Wirtschaftskraft der Insel sei. Die aktuelle Tourismusstrategie zielt darauf ab, mithilfe höherwertiger Angebote Qualität vor Quantität zu stellen, weg vom Massentourismus hin zu einer nachhaltigen Reisedestination für Einheimische und Besucher.

Konzept Kulturhauptstadt Europas

Seit 1985 werden von der EU jährlich bis zu drei Kleinstädte bzw. Regionen zur Kulturhauptstadt, Früher Kulturstadt, Europas ernannt. Mit Fördermitteln der Gemeinschaft sollen kulturelle Aspekte im weitesten Sinn einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und dadurch das gegenseitige Verständnis der EU-BürgerInnen untereinander verbessert werden. Manchen Orten hat dieses Konzept überhaupt erst den Sprung auf die touristische Landkarte ermöglicht. Wie nachhaltig die Investitionen in Kunst und Kultur sind, ist unterschiedlich. Graz etwa hat 2003 die Chance genützt und mit der Murinsel, die als temporäres Projekt gedacht war, ein architektonisches Highlight errichtet, das bis heute ein Besuchermagnet ist. Auch Linz, bis 2009 vorwiegend als hässliche Industriestadt wahrgenommen, hat sich dank kreativer Programme und Installationen zu einer sehenswerten Städtedestination gemausert, die darüber hinaus mit originellen Werbespots auch vor ihren Schwachstellen nicht zurückscheut. Im Jahr darauf stand Essen mit dem Ruhrgebiet auf der Liste. Auch dort ist es gelungen, vom Schwung der Kulturhauptstadt bis heute zu profitieren. Alle drei Städte sind in der internationalen Wahrnehmung bis heute gut präsent.

Welche Zielgruppe?

Einen etwas anderen Weg ging Veszprém mit der Region Balaton im Vorjahr. Veranstaltungen und Projekte waren vorwiegend für die lokale Bevölkerung konzipiert, ohne größere Werbemaßnahmen im Ausland. Die regionale Einbindung findet heuer auch in Bad Ischl mit dem Salzkammergut statt. Angesichts der oft gar nicht bis ungenügend gesteuerten Touristenströme erscheint es naheliegend, dass über die Jahre die lokale Bevölkerung immer stärker in die Programme zur Kulturhauptstadt einbezogen wird. Diesen Weg beschreitet auch Chemnitz, das den Titel 2025 tragen wird, zusammen mit 38 Gemeinden in der Umgebung. Herzstück des Kulturangebots wird der „Purple Path“ sein: Entlang einer Route durch die teilnehmenden Orte werden Kunstwerke von internationalen, nationalen und lokalen Künstlerlnnen installiert. Die ersten neun sind bereits zu bestaunen. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die „Maker Hubs“, bei denen Einheimische ihre Kunsthandwerksfähigkeiten gemeinsam ausüben und in Workshops auch Gästen vermitteln. Zudem stehen Veranstaltungen rund um das Thema „Demokratie“ auf der Agenda. Für Chemnitz bietet die Kulturhauptstadt jedenfalls eine gute Möglichkeit, seine Bekanntheit und die der umliegenden Region international zu steigern und dabei die Bevölkerung mit ins Boot zu nehmen. (red.)

Dieser Artikel ist zuerst in der Print-Ausgabe von tip (April) erschienen.


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Foto: tip

Autor/in:

Herausgeberin / Chefredakteurin

Elo Resch-Pilcik, Mitgründerin des Profi Reisen Verlags im Jahr 1992, kann sich selbst nach mehr als 30 Jahren Touristik - noch? - nicht auf eine einzelne Lieblingsdestination festlegen.





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